Wie sich KMUs durch „Schnupperkurse“ und mit der passenden „Chemie“ an neue Märkte herantasten

von | 9. Nov 2022 | Betriebswirtschaft und Management, Denk- und Arbeitsweise, Internationales

Lesezeit: 7 Min. | Aktualisiert am 17. Juni 2023

Expansion im Blickpunkt

Für Unternehmen gibt es zwei Arten, sich zu internationalisieren.

Nämlich

  • sie produzieren im Ausland (zwecks Kostensenkung etc.) und/oder
  • sie gewinnen Kunden im Ausland (Expansion durch Export von Gütern bzw. Dienstleistungen).

In diesem Beitrag wird allein die zweitgenannte Form der Internationalisierung beleuchtet, also die Gewinnung von Kunden im Ausland und die diesbezügliche Expansion.

Insbesondere behandelt dieser Beitrag die Art und Weise, mit der kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) ihren Eintritt in einen neuen Markt auch mit beschränkten Ressourcen vorbereiten und steuern können.

Wozu als KMU ins Ausland expandieren?

Aber warum sollten KMUs überhaupt expandieren? Ist der einheimische Markt für kleinere und mittlere Unternehmen nicht groß genug?

Nun, es gibt – im Prinzip – zwei Motive für eine Expansion.

Das erste Motiv lautet „Chancennutzung“

Durch Exporte kann sich ein Unternehmen viele wichtige Vorteile sichern.

Dazu zählen insbesondere:

  • Umsatzwachstum
  • Skalen- und Kostendegressionseffekte
  • Reputationsgewinn und höhere Margen durch Internationalität.

Eine erfolgreiche Expansion steigert die Rentabilität. Möglicherweise wird nur über den Vertrieb im Ausland der break-even erreicht.

Das zweite Motiv heißt „Risikodiversifizierung“

Mit zusätzlichen Einnahmen aus ausländischen Märkten können Unternehmen Probleme im Heimatmarkt oder anderswo abfedern – sie können ihr Risiko diversifizieren.

Eine erfolgreiche Expansion stabilisiert das Unternehmen und erhöht seine Resilienz.

Warnhinweis: Die Risikodiversifizierung ist allerdings zweifelhaft, wenn zum Zwecke der Chancennutzung eine massive Abhängigkeit von einem spezifischen Land – z.B. China – geschaffen wird. In solchen Konstellationen gilt es, zwischen Chancen und Risiken abzuwägen.

Vergleich Europa – USA

Aufgrund ihrer mittleren oder sogar kleinen Heimatmärkte expandieren europäische Unternehmen 19x schneller als US-amerikanische. (Robert Vis, Forbes, 4. April 2019).

Wie können KMUs in neue Märkte expandieren?

Expansion ist leichter gesagt als getan.

Was kann getan werden, um in einem ausländischen Markt erfolgreich zu sein?

Es gibt verschiedene Markteintrittstechniken – mit jeweils unterschiedlichen Features.

Nachfolgend finden Sie eine Auflistung der zehn wichtigsten Techniken und Maßnahmen:

  • grenzüberschreitende Werbung (über das Internet etc.) im Zielmarkt
  • Einschaltung von Business-Development-Beratern (über Außenhandelskammern etc.) und von Intermediären im Zielmarkt
  • Errichtung eines Warenlagers im Zielmarkt (relevant nur bei physischen Gütern)
  • Beschäftigung eines oder mehrerer Remote-Arbeitnehmer im Zielmarkt (Home-Office, Co-Working, Monteure)
  • vertragliches Joint Venture mit lokalen Partnern im Zielmarkt
  • Franchising oder sonstige Lizenzierung von geistigem Eigentum (IP) im Zielmarkt
  • Eröffnung einer Repräsentanz oder Niederlassung im Zielmarkt
  • Gemeinschaftsunternehmen (Equity Joint Venture) im Zielmarkt
  • Erwerb eines Wettbewerbers im Zielmarkt (M&A)
  • eigenständiger (organischer) Aufbau einer Vertriebs-Tochtergesellschaft im Zielmarkt

Hinweis: Innerhalb der vorstehenden Liste nimmt die wirtschaftliche, rechtliche und steuerliche Komplexität von oben nach unten zu. (Über die genaue Rangfolge lässt sich im Einzelfall trefflich streiten).

Welches Knowhow wird für eine Expansion benötigt?

Bei der Frage nach dem erforderlichen Expansions-Knowhow ist stets zu beachten:

  • Bei Expansionsvorhaben müssen viele Wissensgebiete beachtet und miteinander verknüpft werden.
  • Zwischen verschiedenen Teilbereichen bestehen häufig Wechselwirkungen.
  • Geeignet ist daher eine fließende und iterative bzw. inkrementelle Denk- und Arbeitsweise, z.B. nach dem OODA-Loop-Prinzip (observe, orient, decide, act).

Nun zu den Wissensgebieten, die bei Expansionsvorhaben bedacht und – bei Relevanz – beherrscht werden müssen.

Nach der von Situation Law praktizierten Denk- und Arbeitsweise nach den fünf Perspektiven (siehe den Punkt „Analyse der Deal-Situation erstellen“) lassen sich die in Frage kommenden Expansionsdisziplinen wie folgt darstellen:

Wirtschaftliche Perspektive

  • Business Process Modeling
  • Länderbezogenes Produktmanagement
  • Internationales Projektmanagement
  • Internationales Marketing und internationaler Vertrieb
  • Internationale Logistik
  • Personalfragen im Heimat- und Zielmarkt
  • Finanzen (international) 

Ordnungsrechtliche Perspektive (Regulatorik)

  • Marktzugangsbeschränkungen, Einwanderungsrecht und Zollfragen
  • Normierungsfragen
  • Verbraucher- und Datenschutz im Zielmarkt
  • Internationales und ausländisches Kartell- und Wettbewerbsrecht

Bilanz- und steuerrechtliche Perspektive

  • Internationales und ausländisches Bilanzrecht
  • Internationales und ausländisches Steuerrecht

„Schlechtwetterrechtliche“ Perspektive

  • Internationales Prozess-, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht

Privatrechtliche und vertragsgestalterische Perspektive

  • Internationales und ausländisches Privat- und Gesellschaftsrecht
  • Internationale Vertragsgestaltung.

Wie schwierig ist eine internationale Expansion?

Die obige Aufzählung der Gesichtspunkte und Disziplinen macht deutlich: Ein Expansionsprojekt kann für jedes Unternehmen hochkomplex werden. Dies gilt erst recht für KMUs mit beschränkten Ressourcen.

Bei jedem Projekt hängt der Komplexitätsgrad auch von dem jeweils zu vertreibenden Produkt bzw. der jeweils zu vertreibenden Dienstleistung ab.

Grundsätzlich bestehen erhebliche Unterschiede zwischen

  • digitalen Produkten und Dienstleistungen einerseits und
  • physisch zu erbringenden Lieferungen und Leistungen andererseits.

Bei digitalen Produkten oder Dienstleistungen ist eine Expansion um ein Vielfaches einfacher.

Weiter hängt die Komplexität von der geographischen und kulturellen Entfernung zum Zielmarkt ab.

Wie managen und entscheiden?

Wie verhindert ein KMU, dass ihm ein Expansionsprojekt über den Kopf wächst?

Mit einer sach- und fachgerechten Projektsteuerung und mit einem Herantasten an den Zielmarkt kann die Komplexität einer Expansion reduziert und beherrschbar gemacht werden, wie nachfolgend näher erläutert.

Entscheidend ist: Expansionsvorhaben sind Projekte und keine Routineaufgaben.

D.h., dass KMUs mit ihrem alltäglichen Geschäftsprozess-Management selten weiter kommen.

Nötig sind internationales und auf den Zielmarkt bezogenes Projekt- und Exportmanagement.

Die Projektsteuerung muss sich gemäß dem magischen Dreieck an den drei Zielen Qualität, Zeit (d.h. Rechtzeitigkeit) und Geld (d.h. Budgetgerechtigkeit) orientieren.

Je höher die Komplexität (siehe oben) und je höher die Qualitätsanforderungen, desto großzügiger müssen die Faktoren Zeit und Geld bemessen werden.

Aus gutem Grund zögern KMUs bei der Wahl komplexerer Markteintrittstechniken: Deren korrekte Umsetzung kostet sie zwangsläufig erhebliche Ressourcen an Zeit und Geld.

Denn klar ist: Die Investition in den Markteintritt soll sich am Ende auszahlen. Das Ziel ist ein möglichst guter ROI (Return on Investment).

Können sich Unternehmen mit wenig Aufwand an neue Märkte herantasten?

Gibt es Methoden, mit denen KMUs auf vergleichsweise einfache Art und Weise in einen neuen Markt eintreten können?

Unternehmen, die bisher nur in ihrem nationalen Markt vertrieben haben, aber nunmehr ins Ausland expandieren wollen, können den Schwierigkeitsgrad und damit ihren anfänglichen Expansionsaufwand klein halten, wenn sie in geographisch und kulturell nahegelegenen Märkten starten. Diese sind die low-hanging fruits.

Hinweis: Ein Auslandsmarkt, in dem dieselbe Sprache gesprochen wird, ist nicht zwangsläufig kulturell nah.

Eine Markterkundung im Wege eines „Schnupperkurses“ ist empfehlenswert. So können Fehltritte und hohe verlorene Aufwendungen (sunk costs) vermieden werden.

Hinweis: „Schnupperkurs“ ist im übertragenen Sinne, als Vorfeldphase, zu verstehen.

Erste Marktkenntnisse erwirbt ein Unternehmen insbesondere durch

  • Auswertung öffentlich zugänglicher Quellen unter Einschluss des lokalen oder regionalen Rechts
  • Messeauftritte
  • Testmarketings und gezielte Pilotprojekte in Teilen des neuen Marktes (eine Stadt oder eine sozioökonomische Gruppe).

Auf Basis von solchen vorgeschalteten Marktuntersuchungen und -erprobungen kann das Unternehmen  

  • die wirtschaftlichen und demographischen Daten analysieren und das Potenzial des betreffenden Marktes einschätzen
  • sich eine fundierte Meinung über das einschlägige Markteintrittsrecht und über den sonstigen Rechtsrahmen schaffen
  • das konkrete Verhalten der lokalen Marktteilnehmer erfahren und die tatsächliche Akzeptanz des eigenen Produkts bzw. der eigenen Dienstleistungen im Zielmarkt einschätzen
  • feststellen, ob eine Produktanpassung an die lokalen Gegebenheiten (sog. Lokalisierung oder Transkreation) bzw. an bestimmte lokale Zielgruppen notwendig ist
  • die Entscheidungsgrundlage für das weitere Vorgehen optimieren.

Im Anschluss an diese Vorfeldphase kann das Unternehmen die tatsächliche Expansion kosteneffizient starten. Hierzu bieten sich spezialisierte Business-Development-Berater und Intermediäre wie Handelsvertreter und Gelegenheitsagenten bzw. Handelsmakler an.

Business-Development-Berater führen im Zielmarkt nicht nur die vorgenannten Pilotprojekte und Testmarketings durch, sondern sie helfen auch bei der Ausarbeitung und laufenden Überprüfung und Anpassung der Markteintrittsstrategie. Teilweise bieten die Auslandshandelskammern (AHKs) diese Dienstleistung an. In jedem Fall verfügen die AHKs über umfangreiche Netzwerke.

Handelsvertreter sind ständig mit der Gewinnung von Neukunden und mit der Kundenpflege betraute externe Dienstleister. Als Selbständige arbeiten sie weitgehend autonom. Sie müssen also nicht zeitaufwendig überwacht werden. Ein Monitoring ist dennoch für Qualitätskontrollzwecke sinnvoll. Handelsvertreter müssen im Normalfall nur erfolgsabhängig vergütet werden.

Handelsvertreter sind nach allem bei einer Expansion eine mögliche Plug & Play-Lösung.

Warnhinweis: „Plug & Play“ bedeutet nicht, dass man einen Handelsvertretervertrag semiinformiert abschließen sollte. Der Vertrag muss passen. Es sollte vorher abgeklärt werden, ob nicht eine andere Form von Intermediation (z.B. ein Kommissionär) besser geeignet wäre. Auch sollte der Handelsvertretervertrag mit Blick auf die Bedürfnisse des Unternehmens konfiguriert und optimiert werden.

Die vom deutschen und europäischen Gesetzgeber vorgesehene zwingende Verpflichtung des Unternehmers, dem Handelsvertreter am Ende des Vertragsverhältnisses eine Ausgleichszahlung von maximal einer Jahresprovision zu leisten, erscheint mit Blick auf die im Handelsrecht vorherrschende Vertragsfreiheit schwer verständlich.

Es muss aber betont werden, dass der Unternehmer nur dann eine Ausgleichszahlung an den ausscheidenden Handelsvertreter leisten muss, wenn der Handelsvertreter im Zielmarkt einen Kundenstamm (mit-)geschaffen hat. Ggf. richtet sich die Höhe der Ausgleichszahlung nach dem Wert („Vorteil“) des Kundenstamms für den Unternehmer. Kurzum: Der Unternehmer muss die Ausgleichszahlung nur zahlen, wenn und soweit er einen Gegenwert erhalten hat.

Warnhinweis: Bei Bezirksvertretern ist besondere Vorsicht geboten, wie an anderer Stelle näher auszuführen ist.

Übrigens: Nach Vertragsbeendigung sind bei der Ausgleichszahlung abweichende Regelungen zulässig. Nur vorab, insbesondere bei Abschluss des Handelsvertretervertrages, getroffene Regelungen sind unwirksam.

Möglicherweise ist ein erfolgreicher Handelsvertreter ein geeigneter Partner beim Übergang zu einer komplexeren Markteintrittstechnik. Eignet sich der Handelsvertreter als Geschäftsführer für ein ausländisches Joint Venture oder eine ausländische Vertriebstochtergesellschaft? Reizt ihn eine solche Position?

Grundsätzlich lässt sich der Anspruch auf die Ausgleichszahlung gegen ein anderes Recht – wie z.B. Unternehmensanteile – tauschen. Dabei können die Interessen harmonisiert werden (alignment of interest) und Win-Win-Situationen geschaffen werden. Das Unternehmen kann mit dem Rechtetausch seine Liquidität schonen.

Das Handelsvertreterrecht – und damit der Ausgleichsanspruch – findet keine Anwendung auf Gelegenheitsagenten bzw. Handelsmakler. Letztere sind Vermittler, die nicht ständig mit der Geschäftsanbahnung betraut sind, sondern nur vorübergehend für einzelne Vermittlungsaufgaben hinzugezogen werden.  

Wie wichtig sind persönliche Beziehungen für erfolgreiche Expansionen?

Die Erfahrung zeigt:

  • Der Weg von einfacheren zu komplexeren Markteintrittstechniken kann in vielen Fällen in Etappen beschritten werden (graduelle Intensivierung des Markteintritts).
  • Auf vorherigen Etappen gewonnene Kunden und Marktkenntnisse können auf späteren Etappen genutzt werden.
  • Personal und Dienstleister können auf einer späteren Etappe „an Bord“ bleiben.

Die meisten Expansionsvorhaben sind ein people business: Neben der passenden Markteintrittstechnik und -strategie ist das Mindset der handelnden Personen von vorrangiger Bedeutung.

Menschen, die (fast) nur innerhalb einer bestimmten Disziplin denken, leisten als Experten im mittleren Management oder als Berater gute und wichtige Arbeit.

Expansionsverantwortung erfordert jedoch gesamtheitliches Denken, Entscheiden und Handeln.

Welches ist bei Expansionen das vorrangige juristische Thema?

Aus der subjektiven Sicht eines Exporteurs geraten juristische Fragestellungen in der Regel mit einem bestimmten Vertrag, der in einer konkreten Einzelsituation benötigt wird, ins Blickfeld:

  • Vertraulichkeitsvereinbarung
  • Beratervertrag
  • Handelsvertretervertrag
  • Gesellschaftsvertrag etc.

Die subjektive Sichtweise weicht jedoch von den objektiven Notwendigkeiten ab.

Aus objektiver Sicht obliegt es Unternehmen vor allem – nachdem die ordnungsrechtlichen Fragen beantwortet sind – sich um die Sicherung ihres geistigen Eigentums im Zielland zu kümmern.

Zu häufig passiert es nämlich, dass Marken, Designs, Patente oder Urheberrechte nicht hinreichend geschützt sind, wenn ein Unternehmen in den neuen Markt eintritt. Auf Geschäftsgeheimnisse in ihrer vielfältigen Form ist besonders zu achten. Bei IP-Verletzungen ist das Schadenspotenzial enorm. Schäden sind oft irreparabel.

Der Schutz des geistigen Eigentum ist das juristische Thema, das am Anfang einer Expansion bearbeitet werden sollte.

Wie lautet das Fazit?

Wir fassen zusammen:

Vor allem die folgenden „Stellschrauben“ sind bei einer Expansion erfolgsrelevant:

  • Der Schutz des geistigen Eigentums im Zielmarkt (und im Heimatmarkt sowieso) ist von hervorragender Bedeutung.
  • Die Inhaber und Manager von expandierenden KMUs sollten alles dafür tun, um grenzüberschreitend langfristig tragfähige persönliche Beziehungen zu knüpfen und zu erhalten. Wichtig ist vor allem ein auf die wesentlichen Teile des Export- und Vertriebsmotors fokussiertes Mindset der ausländischen Partner. Wissenslücken im Skillset können – in Grenzen – durch interne oder externe Experten ausgeglichen werden.
  • Mit Geschick bei Wahl, Mischung und Steuerung von Markteintrittstechniken und mit guter zwischenmenschlicher „Chemie“ meistern KMUs auch schwierige Expansionsvorhaben.
  • Eine Expansion im Wege eines „Schnupperkurses“ ist immer ein guter Anfang.

Artikelbild: Javier Miranda auf Unsplash

Porträt Dr. Mark Odenbach

Autor: Dr Mark Odenbach

Dr. Mark Odenbach ist ein wirtschaftsrechtlicher Strukturierer, Vertragsgestalter und Wirtschaftsanwalt mit internationaler Ausrichtung. Er arbeitet mehrsprachig.

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 Aktualisiert am 17. Juni 2023

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