Kauf eines englischen Unternehmens (Share Deal) nach deutschem Recht?

von | 12. Feb 2024 | Internationales, Zivil- und Wirtschaftsrecht

Lesezeit: 4 Min. | Aktualisiert am 7. März 2024

Ist es möglich, mit einem Kaufvertrag in deutscher Sprache, für den die Parteien die Anwendbarkeit deutschen Rechts wählen und in dem sie sich auf einen deutschen Gerichtsstand einigen, Anteile (Shares) an einem echten englischen Unternehmen (einer Limited) zu kaufen und zu verkaufen?

Einleitendende Hinweise

Dieser Beitrag ist für ein deutsches Publikum verfasst. Entsprechend werden auch im Hinblick auf das englische Recht viele deutschrechtliche Begrifflichkeiten verwandt, und zwar selbst, wenn es im englischen Recht keine 1:1-Entsprechung gibt.

Mit dem Begriff „echtes“ englisches Unternehmen sind in diesem Beitrag in England ansässige und dort betriebene Unternehmen gemeint. Nicht behandelt werden in Deutschland betriebene Unternehmen in der Rechtsform der Limited, die vor Einführung der „UG (haftungsbeschränkt)“ und vor dem Brexit in Deutschland verbreitet waren.

Zur Eingangsfrage

Jedenfalls dann, wenn beide Parteien in Deutschland ansässige Unternehmer sind, können sie für das schuldrechtliche Kausalgeschäft (den Anteilskaufvertrag nach §§ 433 ff. BGB) deutsches Recht frei wählen und etwaige Streitigkeiten über vertragliche Primär- und Sekundäransprüche gemäß ihrer Wahl des Gerichtsstands vor einem deutschen Gericht austragen.

Die freie Rechtswahl ergibt sich aus Europarecht, und zwar aus Art. 3 Abs. 1 der Rom-I-Verordnung.

Allerdings sind der freien Rechtswahl Grenzen gesetzt. Außerhalb von Verbraucherverträgen finden sich Einschränkungen vor allem in Art. 3 Abs. 2 – 5, Art. 9 und Art. 21 Rom-I-Verordnung.

Hat der vollzogene Brexit keinen Einfluss auf die Rechtslage?

Das Vereinigte Königreich ist aus der Europäischen Union ausgetreten (Brexit). Daher muss die Frage gestellt werden, ob die Rom-I-Verordnung als Europarecht trotzdem auf deutsch-britische Sachverhalte Anwendung findet.

Juristisch ist es so, dass deutsche Gerichte die Verordnung trotz vollzogenem Brexit auf Sachverhalte zwischen Deutschland und Großbritannien anwenden müssen.

Nach ihrem Art. 2 enthält die Rom-I-Verordnung nämlich aus Sicht von EU-Mitgliedstaaten universelles Internationales Privatrecht. Ein deutscher Richter würde die Verordnung z.B. auch in einem deutsch-japanischen Fall anwenden müssen. Oder ein französischer Richter in einem französisch-kanadischen Fall.

Hinweis: Gerichte des Vereinigten Königreichs werden selbstverständlich nicht in die Rom-I-Verordnung schauen, sondern in das dortige Internationale Privatrecht. Auch für Dänemark, das sich nicht an der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen beteiligt und deshalb kein Mitgliedstaat im Sinne der Rom-I-Verordnung ist (vgl. deren Erwägungsgrund 46) gilt die Rom-I-Verordnung nicht.

Können die Parteien auch für gesellschaftsrechtliche Fragen deutsches Recht wählen?

Für das Gesellschaftsrecht der Limited kann nach der Rom-I-Verordnung deutsches Recht nicht gewählt werden. Die Verordnung erklärt sich „für Fragen betreffend das Gesellschaftsrecht“ als unanwendbar (Art. 1 Abs. 2 Buchst. f)).

Ist die Rechtswahl dann bei einem Anteilskauf nicht problematisch?

Ein nur schuldrechtliche Regelungen (§§ 433 ff. BGB) umfassender Anteilskaufvertrag ist unserer Meinung nach komplett schuldrechtlich und in keiner Weise gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren. Deswegen halten wir die Wahl deutschen Rechts im Lichte von Art. 1 Abs. 2 Buchst. f) und Art. 3 Abs. 1 der Rom-I-Verordnung für unproblematisch.

Zur Abgrenzung zwischen Schuld- und Gesellschaftsrecht verweisen wir auf Grüneburg/Thorn, Bürgerliches Gesetzbuch, 83. Auflage, 2024, Rom I, Rn. 12.

Unterscheidet das englische Recht wie das deutsche zwischen schuldrechtlichem Kausalgeschäft und Verfügungsgeschäft?

Ja. Die Completion (Vollzug des schuldrechtlich Vereinbarten, insbesondere die Abtretung der Anteile) wird in englischen Share Purchase Agreements gesondert von den schuldrechtlichen Bestimmungen geregelt.

Hinweise: Englische Juristen denken bei der Unterscheidung zwischen Kausal- und Erfüllungsgeschäft (Completion) eher pragmatisch und weniger dogmatisch.

Gilt die freie Rechtswahl auch für das Verfügungsgeschäft?

Nach dem besagten Art. 1 Abs. 2 Buchst. f) der Rom-I-Verordnung findet die Verordnung auf gesellschaftsrechtliche Fragen keine Anwendung. Deswegen sollte man in Bezug auf das Verfügungsgeschäft (die Anteilsübertragung) von der Wahl nichtenglischen Rechts abraten. Auch eine Analogie zu Art. 14 Abs. 2 der Rom-I-Verordnung (die Vorschrift regelt Forderungsabtretungen), deutet darauf hin, dass für das Verfügungsgeschäft zwingend englisches Recht anzuwenden ist.

Für das Verfügungsgeschäft (die Abtretung der Geschäftsanteile) sollten die Parteien englisches Recht wählen. Sie sollten dafür auch die englische Sprache wählen, denn der verfügungsrechtliche Rechtsakt, d.h. die Stock Transfer Form, muss in der Regel gestempelt werden (Stamp Duty) und beim Companies House eingereicht werden, um eine Umschreibung der Shares auf den Erwerber zu bewirken.

Ist die Aufspaltung in einen deutschen Kaufvertrag und eine englische Completion nicht unnötig komplex?

Eine Aufspaltung in einen deutschen und einen englischen Rechtsakt ist bei Unternehmenskäufen sicherlich ungewöhnlich. Aus rein englischer Sicht wäre ein einziges englisches Share Purchase Agreement mit schuldrechtlichen Regelungen sowie Regelungen zur Completion üblich und auch einfacher.

Wir haben die vorbeschriebene Zwei-Vertrags-Technik dennoch auf Wunsch von deutschen Parteien aus dem Mittelstand, die deutsche Verträge und deutsche Gerichtsstände bevorzugen, realisiert.

Für deutsche Parteien, denen das englische Recht fremd ist und die Streitigkeiten vor englischen Gerichten möglichst vermeiden wollen, ist die Aufspaltung eine große Erleichterung.

Was ist bei der Zwei-Vertrags-Technik praktisch zu beachten?

Nach deutschem und nach englischem Recht werden die für die Verfügung über die Geschäftsanteile erforderlichen rechtsgeschäftlichen Erklärungen kurz und bündig abgefasst.

Bei der Zwei-Vertrags-Technik gestalten wir das englischrechtliche Vertragsdokument betreffend die Completion trotzdem umfangreicher. Wir wiederholen dort viele Klauseln aus dem deutschrechtlichen Kausalgeschäft, insbesondere Garantien und andere vertragliche Pflichten der Gegenseite, die für unseren Mandanten essenziell sind.

Das hat den Vorteil, dass unser Mandant im Streitfall die Möglichkeit hätte, den Geschäftspartner notfalls auch in England aus englischem Schuldrecht zu verklagen. Diese Option kann in einem deutschen Rechtsstreit besonders nützlich sein, a) wenn sich die Gegenseite auf die Position versteift, dass der deutsche Vertrag ganz oder teilweise unwirksam sei oder dass die Wahl deutschen Rechts für den schuldrechtlichen Kaufvertrag ins Leere liefe und b) wenn die Gegenseite derartige Einwände auch nur erwägt und dann erkennt, dass ihr ein englischer Rechtsstreit droht.

Selbst wenn unsere deutsche Mandantschaft grundsätzlich deutsche Gerichte bevorzugt (deutsche Gerichte als Plan A), dienen bei der Zwei-Vertrags-Technik englische Gerichte als Auffangoption bzw. als Plan B.

Was ist sonst noch wichtig?

Last but not least gibt es noch ein wichtiges Thema: die Legal Due Diligence. Diese muss selbstverständlich von englischen Anwälten durchgeführt werden, und zwar ganz am Anfang des Kaufvorgangs.

Porträt Dr. Mark Odenbach

Autor: Dr Mark Odenbach

Dr. Mark Odenbach ist ein wirtschaftsrechtlicher Strukturierer, Vertragsgestalter und Wirtschaftsanwalt mit internationaler Ausrichtung. Er arbeitet mehrsprachig.

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 Aktualisiert am 7. März 2024

Über Situation Law

Situation Law ist ein Blog über Deal-Situationen und über die in solchen Situationen zielführende Denk- und Arbeitsweise. Zu den Schwerpunkten des Blogs gehören die Strukturierung, Gestaltung und Verhandlung von situationsgerechten Wirtschaftsverträgen.