Verweigerung der Leistung gemäß § 320 BGB wegen Verletzung von wesentlichen Nebenpflichten (Covenants) – Grundlagen und Vertragsgestaltung

von | 30. Jan 2022 | Internationales, Urteilsbesprechungen, Vertragsgestaltung und -verhandlung, Zivil- und Wirtschaftsrecht

Lesezeit: 4 Min. | Aktualisiert am 30. Januar 2022

Dieser Beitrag widmet sich dem Leistungsverweigerungsrecht nach § 320 BGB mit besonderem Fokus auf die Einbindung von wesentlichen Nebenpflichten (Englisch: Covenants) in das funktionelle Synallagma.

Die Gliederungspunkte 1-4 befassen sich mit den rechtlichen Grundlagen.

Gliederungspunkte 5-8 gehe auf verschiedene Aspekte der Vertragsgestaltung ein.

1. Gesetzliche Vorschriften zum Leistungsverweigerungsrecht bei Gegenseitigkeit

§ 320 Abs. 1 Satz 1 BGB lautet: „Wer aus einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet ist, kann die ihm obliegende Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigern, es sei denn, dass er vorzuleisten verpflichtet ist.“

§ 322 Abs. 1 BGB hat folgenden Wortlaut: „Erhebt aus einem gegenseitigen Vertrag der eine Teil Klage auf die ihm geschuldete Leistung, so hat die Geltendmachung des dem anderen Teil zustehenden Rechts, die Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung zu verweigern, nur die Wirkung, dass der andere Teil zur Erfüllung Zug um Zug zu verurteilen ist.“

2. Wirkprinzipien der gesetzlichen Vorschriften

§§ 320 und 322 BGB sind eine Ausprägung des funktio­nellen Synal­lagmas: Die im Gegen­sei­tig­keits­ver­hältnis stehenden Leistungs­pflichten sollen grund­sätzlich nur Zug um Zug erfüllt werden müssen.

Jede Vertragspartei hat ein Leistungsverweigerungsrecht, und zwar so lange bis die ihr geschuldete Leistung bewirkt wird. Das Leistungs­ver­wei­ge­rungs­recht gilt nicht nur bei einer Nicht­er­füllung oder teilweisen Nicht­er­füllung der Gegenleistung, sondern auch bei deren Schlecht­er­füllung. In diesem Sinne ergänzt die Einrede aus § 320 BGB die Gewähr­leis­tungs­rechte.

Insbe­sondere im Falle einer Schlecht­leistung hat die Vorschrift nicht nur den Zweck der Anspruchs­si­cherung, sondern auch die Funktion, Druck auf den Schuldner auszuüben, damit dieser die ihm oblie­gende Nacher­füllung erbringt (ständige Rsp. des BGH, so BGH v. 16.01.1992 – VII ZR 85/90 – juris Rn. 12 – NJW 1992, 1632 f.; BGH v. 26.10.2016 – VIII ZR 211/15 – juris Rn. 23 – NJW 2017, 1100 f.; OLG Frankfurt v. 12.04.2006 – 7 U 99/05 – juris Rn. 31 – BauR 2007, 1056).

§ 320 BGB verfolgt laut BGH „den doppelten Zweck, dem Gläubiger, der am Vertrag festhalten will, sowohl den Anspruch auf die Gegen­leistung zu sichern als auch Druck auf den Schuldner auszuüben, um ihn zu vertrags­ge­mäßer Leistung anzuhalten.“ (Siehe BGH v. 26.10.2016 – VIII ZR 211/15 – juris Rn. 23 – NJW 2017, 1100 f.; m. Anm. Beckmann, LMK 2017, 388491; ähnlich BGH v. 06.12.1991 – V ZR 229/90 – juris Rn. 17 – BGHZ 116, 244, 249; BGH v. 26.03.2015 – VII ZR 92/14 – juris Rn. 58 – BGHZ 204, 346, 363).

3. Pflichten im Gegenseitigkeitsverhältnis – die Definition des Bundesgerichtshofs

Wichtig ist, dass nicht nur die Hauptleistungspflichten des Vertragspartners im Gegenseitigkeitsverhältnis zu der verweigerten Leistung stehen. Auch alle anderen vertraglichen Pflichten des Vertragspartners – und damit auch Nebenpflichten – stehen im Gegenseitigkeitsverhältnis, wenn sie wesentlich sind. Der 3. Zivilsenat des BGH hat am 09.06.2011 in der Sache III ZR 157/10 ausgeführt:

„Richtig ist zwar im Ausgangspunkt, dass die Anwendung dieser Bestimmung voraussetzt, dass die Forderung, auf die das Leistungsverweigerungsrecht gestützt wird, mit der Gegenforderung in einem Gegenseitigkeitsverhältnis stehen muss. Dieses erstreckt sich auf alle Hauptleistungspflichten und alle sonstigen vertraglichen Pflichten, die nach dem Vertragszweck von wesentlicher Bedeutung sind (z.B. Palandt/Grüneberg, BGB, 70. Aufl., § 320 Rn. 4; Bamberger/Roth/Grothe, BGB, 2. Aufl., § 320 Rn. 10). Welche Pflichten als von wesentlicher Bedeutung anzusehen sind, bestimmt sich nach den Umständen des jeweiligen Vertragsverhältnisses (BGH, Urteil vom 25. Juni 1953 – IV ZR 20/53, NJW 1953, 1347; RGZ 101, 429, 431; Bamberger/Roth/Grothe aaO; Palandt/Grüneberg aaO Einf vor § 320 Rn. 17).“

4. Ausnahme bei nur geringfügigem Rückstand (§ 320 Abs. 2 BGB)

Das Zurückbehaltungsrecht kann entfallen, wenn der Vertragspartner nur geringfügig im Rückstand ist. So heißt es in § 320 Abs. 2 BGB:

„Ist von der einen Seite teilweise geleistet worden, so kann die Gegenleistung insoweit nicht verweigert werden, als die Verweigerung nach den Umständen, insbesondere wegen verhältnismäßiger Geringfügigkeit des rückständigen Teils, gegen Treu und Glauben verstoßen würde.“

5. §§ 320 ff. BGB im Wege der Individualabrede abdingbar

§ 320 BGB ist – wie der gesamte Titel 3 (§§ 320 bis 326 BGB) – grund­sätzlich abdingbar (H. Schmidt in: BeckOK-​BGB, Stand: 01.11.2019, § 320 BGB Rn. 1.)

Besonderheiten gelten bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Bei der Beschneidung des Zurückbehaltungsrechts des Klauselgegners ist insbesondere das spezielle Klauselverbot gemäß § 309 Nr. 2 Buchstabe a) BGB zu beachten. Der exzessiven (unverhältnismäßig weitreichenden) Ausgestaltung des Zurückbehaltungsrechts des Verwenders hat der Bundesgerichtshof einen Riegel vorgeschoben. Hier ist insbesondere auf die Entscheidung des 3. Zivilsenats vom 09.06.2011 (III ZR 157/10) hinzuweisen.

6. Konsequenzen für die Vertragsgestaltung bei Nebenleistungspflichten

Parteien, die sich für den Fall der Nicht- oder Schlechterfüllung der ihr geschuldeten Nebenleistung auf das funktionelle Synallagma gemäß §§ 320 ff. BGB und insbesondere auf das Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB berufen wollen, sind gut beraten, wenn sie bei der Vertragsgestaltung deutlich machen, dass die entsprechenden Nebenleistungspflichten ihres Vertragspartners das Prädikat „wesentlich“ tragen sollen.

Ein gutes Beispiel für eine solchen Hinweis bietet das Vertragsmuster eines Generalunternehmervertrags im Münchener Vertragshandbuch, Bd. 2, Wirtschaftsrecht I, 8. Aufl. 2020, S. 351 ff. (Bearbeiterin ist Dr. Susanne Kratzsch): Auf S. 356 werden unter der Überschrift „Wesentliche Nebenpflichten des Unternehmers“ bzw. auf S. 358 unter der Überschrift „Wesentliche Mitwirkungspflichten des Auftraggebers“ genau solche wesentlichen Nebenleistungspflichten (Covenants) geregelt.

Warnhinweis: Wörter und Worte, die für die Auslegung von Klauseln relevant sind, sollten idealerweise nicht (nur) in den Überschriften, sondern in den Klauseln selbst enthalten sein. Dies gilt insbesondere, wenn es in dem Vertragstext (zumindest sinngemäß) heißt: „Die Überschriften der Paragrafen sind nicht deren Bestandteil und sind zur Auslegung nicht heranzuziehen.“ Exakt diese Formulierung ist in dem vorgenannten Muster des Generalunternehmervertrages, dort Abs. 4 der Definitionen, enthalten.

7. Positionierung von wesentlichen Nebenleistungspflichten im Vertragsaufbau

Angesichts der vom BGH dem Leistungsverweigerungsrecht nach § 320 BGB zugeschriebenen Doppelfunktion, nämlich a) Sicherung des Anspruchs auf die Gegenleistung und b) die Zurverfügungstellung des entsprechenden Druckpotenzials zur Erzwingung einer vertragsgemäßen Erfüllung liegt es nahe, die betreffenden – als wesentlich ausgestalteten – Nebenpflichten in der Baugruppe/dem Abschnitt „Regelungen zur Sicherung der Hauptleistung“ auszuführen.

8. Verträge nach Common Law und deren Eindeutschung

In Verträgen nach Common Law sind wesentliche Nebenleistungspflichten unter dem Begriff „Covenants“ fast immer wichtiger Bestandteil. Bei einer Germanifizierung (Eindeutschung) der englischsprachigen Vertragsmuster ist es daher wichtig, den deutschen Begriff der „wesentlichen Nebenpflichten“ zu verwenden. So kann dazu beigetragen werden, dass im Streitfall deutsche Gerichte die betreffenden Vertragsinhalte als in das funktionelle Synallagma eingebunden ansehen.

Porträt Dr. Mark Odenbach

Autor: Dr Mark Odenbach

Dr. Mark Odenbach ist ein wirtschaftsrechtlicher Strukturierer, Vertragsgestalter und Wirtschaftsanwalt mit internationaler Ausrichtung. Er arbeitet mehrsprachig.

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 Aktualisiert am 30. Januar 2022

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